Antifaschismus neu denken – Eine Kritik

Disclaimer: Der Text wurde von einigen Menschen der OAV geschrieben und spiegelt nicht die Meinung der gesamten Gruppe wider.

Der vorliegende Text ist aus dem Vorwort von Helge Döhring: „Schwarze Scharen, anarcho-syndikalistische Arbeiterwehr (1929-1933) entliehen. Gerade in Leipzig aber auch darüber hinaus ist es zur Tradition verkommen bei der historischen Betrachtung von Antifaschismus einen Feiertagsaktivismus[1] nachzugehen und am 27.01. oder 08.05. entweder den Opfern der Nationalsozialismus oder dessen militärischen Niederschlagung zu gedenken. Man reiht sich (natürlich kritisch!)[2] in den Gedenkzirkus ein, aber ohne eigene Impulse zu setzen, von einigen Ausnahmen im Opfergedenken abgesehen.[3]

Wir haben in Leipzig das Glück mit den Ultras der „Georg Schwarz Brigade“ von Chemie Leipzig, Vorträge zu den Meuten und Gedenkveranstaltungen zu der Roten Kapelle durch den VVNB und der Roten Wende (früher), eine vielfältige Erinnerungskultur an den Widerstand gegen den NS zu besitzen. Die aktiven antifaschistischen Strukturen tun aber wenig, um Erinnerung an den gewalttätigen, non-konformistischen, anarchistischen oder sozialistischen antifaschistischen Widerstand zu erhalten. Der Text ist ein Aufruf das zu ändern! Wir sollten die Namen aller Menschen kennen, die im NS Geschlechterrollen widersprochen oder der HJ aufs Maul gegeben haben. Es braucht mehr Forschung und Vorträgen zu den deutschen Spanienkämpfer*innen, Meuten, Edelweißpiraten, Schwarzen Scharen, antifaschistischen Kampfbünden und fokussierten Einzelkämpfer*innen.

Wir möchten aber auch anmerken, dass wir nicht alle Gedanken des Vorwortes teilen. Die Darstellung der Arbeiterklasse als einheitliches revolutionäres Subjekt und damit auch das Verschweigen faschistischer Tendenzen in ihr, halten wir für problematisch. Das „Volk“ ist nicht prinzipiell gut. Gerade auch proletarische antifaschistische Gruppen sollten wir auf Probleme und Fehler untersuchen, um aus diesen zu lernen. Ebenfalls sind nicht alle „Herrschenden“ Faschisten oder haben ein Interesse an der Machtergreifung des Faschismus (auch wenn es wichtig ist besonders tatkräftige Unterstützer*innen zu benennen). Nicht nur „das Kapital“ ist Ursache des Faschismus, sondern auch andere Bevölkerungsgruppen nahmen an faschistischen Organisationen teil oder unterstützten diese massiv. Ideologische Weltbilder, seien es nationalstaatlich-nationalistische, herrschaftsfromme-autoritäre, patriarchal-sexistische, rassistisch-antisemitische oder kapitalistische-darwinistische Gedankenkonstrukte, sind die Grundlagen des Faschismus und treten in jeder Schicht inner- und außerhalb des Produktionsprozesses auf. Genauso wenig sind die Bourgeoisie oder „bürgerliche Wissenschaft“ keine finsteren Typen, die uns daran hindern wollen ein Bewusstsein zu erlangen, sondern ein komplexes System an Autoritäten, Traditionen, Verantwortlichkeiten, Interessensgruppen und Finanzierungen bestimmen Diskurse, Gedenkpolitik, Forschungen und Lehre. Bei aller Liebe zur Betrachtung von antifaschistischem Widerstand von unten, sollten wir niemals die Komplexität der Realität aus den Augen verlieren.

Täter markieren.
Hintergründe beleuchten.
Opfer gedenken.
Widerstand sichtbar machen.
Für mehr Forschung und Erinnerung zum Widerstand von unten!

[1] Offene Anarchistische Vernetzung Leipzig: „Gegen den Feiertagsaktivismus“, 01.08.2024, unter: https://knack.news/8046
[2] Utopie und Praxis: „Die Ideologisierung des Erinnerns“, am 30.03.2025, unter:https://utopieundpraxis.noblogs.org/post/2025/03/30/die-ideologisierung-des-erinnerns/
[3] Alea: „Bericht zur Antifa-Kundgebung in Gedenken an Bernd Grigol“ am 10.05.2025, unter: https://knack.news/12576

Helge Döhring – Vorwort zu den Schwarzen Scharen
Man stelle sich folgende Regelung in einem Hochhaus vor: Wenn es bereits brennt, dann darf die Feuerwehr gerufen werden. So weit, so einleuchtend. Selber aber dürfe man auf keinen Fall Feuerlöscher verwenden oder dem Feuer gar generell vorbeugen! Und man stelle sich des Weiteren vor, dies wäre die allgemeine Ansicht vieler Hausbewohner, zudem es so auch in der Hausordnung festgeschrieben sei. Stattdessen solle man sich darauf verlassen, dass die eingebauten Sicherheitsstandards ausreichen würden. Einige gehen sogar so weit zu sagen: Wer eigene vorbeugende Maßnahmen ergreift, stelle sich auf eine Stufe mit dem Feuer und mache sich wie ebendieses strafbar. Moralisch verwerflich sei das selber löschen ohnehin.

Die Idee, dieses Buch zu machen, liegt auf der Hand.

Ist vom Widerstand gegen die Nazis die Rede, ob in der bürgerlichen Wissenschaft, im Schulbuch oder in einer Zeitschrift, dann wird dieser datiert mit dem Zeitrahmen 1933-1945. Gerade so, als seien die Widerstandstätigkeiten nur für diese Zeit legitim gewesen. Mir ist kein einziges Geschichts- oder Lehrbuch bekannt, welches den Widerstand seit der Gründung der DAP/NSDAP 1919 datiert. Mache eine Umfrage unter (revolutionären) Antifagruppen, wann sie den Widerstand gegen die Nazis datieren. Das Ergebnis wird wohl ähnlich ausfallen.

Der Irrsinn dieser Datierung für Antifaschisten wird jedem klar, der einmal hinter die Fassade schaut, denn natürlich gab es schon vor 1933 Widerstand gegen die Nazis! Und das ist nicht nur von der Faktenlage her belegt, sondern einfach logisch. Denn warum sollte man erst eingreifen, wenn es zu spät ist, wenn die Nazis alle Macht übernommen haben? Die heute vorherrschende gegenteilige Ansicht können nur Stellen suggerieren, welche an der Verhinderung kommender Diktaturen gar kein Interesse haben. Widerstand sei höchstens dann legitim, wenn alles zu spät ist, das ist die auf diese Art vermittelte unterschwellige Denkweise, welche sich latent auch durch viele Antifagruppen zieht.

Doch ist dies nur die eine Seite der zynischen Medaille. Denn nach der Legitimation des Widerstandes vor 1933 zu fragen, bedeutet auch, die Zusammenhänge und Verflechtungen zwischen kapitalistischer Wirtschaftsweise, sog. „Demokratie“ und Faschismus aus dem Dunkeln zu holen, und im hier und jetzt für die bürgerlichen Propagandisten unbequeme Parallelen aufzeigen zu können. Denn der Hitlerfaschismus kam schließlich nicht aus dem Nichts, sondern hatte sein Entstehen der Restaurierung vorrevolutionärerer Zustände nach dem 1. Weltkrieg zu verdanken. Herbert Marcuses Formel „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll auch zum Faschismus schweigen!“ hat zwar uneingeschränkte Gültigkeit, aber denkwürdigerweise kaum nachhaltige Wirkung gezeigt.

Denn noch immer reden genau diejenigen gefragt und ungefragt vom Nationalsozialismus, die besser dazu schweigen sollten. Würden sie die Legitimation antifaschistischen Widerstandes vor 1933 eingestehen, so müssten sie ihn und seinen konsequenten Kampf gegen die Ursachen von Faschismus, u.a. dem kapitalistischen Wirtschaftssystem, auch für heute legitimieren. Und genau das wollen sie nicht. Deshalb möchte ich in diesem Buch aufzeigen, dass Widerstand gerade vor der faschistischen Machtübernahme denkbar war und praktiziert wurde. Dass es sinnvoller ist, ihn vorher zu leisten, sagt uns schon der klare Menschenverstand. Dieses Buch soll es auch historisch veranschaulichen, am Beispiel der Schwarzen Scharen.

Doch nicht nur die Vernebelung unseres Verstandes ist das Ziel bürgerlicher Geschichtsvermittlung, sondern auch die Macht über unsere Mentalität. Denn „je stärker das Selbstwertgefühl des Volkes ist, desto schwächer wird die Macht des Staates“, wie es der Anarchist und Spanienkämpfer Abel Paz einmal treffend auf den Punkt brachte. Aktive Vorbilder schwächen die Ansicht der Notwendigkeit einer herrschenden Wirtschafts- und Politikerklasse. Ziel beispielsweise herrschender Gedenkpolitik ist die Fokussierung des öffentlichen Gedenkens auf weitgehend passive Bevölkerungsgruppen aus dem Bürgertum und auf die Betonung ihres Leidens.

Die Erinnerung an die Pogrome gegen Juden am 09. November 1938 steht gegenüber der Novemberrevolution von 1918 klar im Vordergrund! Dabei war die Niederschlagung der Revolution überhaupt erst die elementare Grundvoraussetzung für die Hitlerdiktatur! Eine aktive Arbeiterschaft mit der Möglichkeit zum Generalstreik muß, wie generell jede revolutionäre Tradition, auf jeden Fall in den Hintergrund gedrängt werden. Und dabei hilft auch die Fixierung des aktiven „Widerstandes“ gegen die Nazis in Lehrplänen und medialer Öffentlichkeit auf diejenigen gesellschaftlichen Kreise, welche uns abermals in passive Ohnmacht versetzen soll: Der Generalstab, das Militär, die Pfaffen.

Wenn wir schon gewaltsam befreitwerden sollen, dann nur durch andere Autoritäten! Das weist Parallelen auf zur hierzulande geschichtlich typischen Tradition „von oben verordneten Revolution“. Die Softfaschisten um Stauffenberg oder die Rote Armee (Befreier von Auschwitz) sollen uns als Retter erscheinen(statt beispielsweise Georg Elser oder die Edelweißpiraten), genauso, wie einst der Reaktionär Bismarck sich in der Geschichtsschreibung als Schöpfer der Sozialgesetzgebung durchgesetzt hat, anstelle der revolutionären Arbeiterschaft. Der Verstand sagt zwar deutlich, dass hier der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben werden soll. Dennoch überwiegt beispielsweise auch das Gedenken an die Befreiung in Auschwitzam 27. Januar statt der mutmaßlichen Selbstbefreiung der Insassen im KL Buchenwald am 11. April 1945. Die (revolutionäre) Antifa adaptiert die hier aufgeführten Beispiele, damit auch die Opferrolle und gedenkt in jenem Takt, den die bürgerliche Klasse vorgibt! Diese fordern Demut vor dem „demokratischen“ Staat, der uns angeblich vor den Nazis schützen soll.

Dieses Buch hingegen wirft den Blick auf diejenigen, die uns eine offensive und selbstbewusste Vorgehensweise vorlebten. Die Geschichte derjenigen Frauen und Männer aus dem Volk, die schon 1932 die Arbeiterviertel vor SA-Überfällen schützten und sich auch nach der Machtergreifung weiterhin zur Wehr setzten, soll eine Würdigung erfahren. Ein Mentalitätswandel in der antifaschistischen Bewegung und darüber hinaus muß einsetzen!

Bloßer Widerstand ist Flickwerk, nichts weiter. Wer sich im Widerstand erschöpft, ändert nichts grundsätzliches, schafft die Bedingungen und Voraussetzungen faschistischer Herrschaft nicht ab. Faschismus wird nur dann unmöglich gemacht, wenn die Ursachen beseitigt und die Voraussetzungen für eine freie Gesellschaft geschaffen werden, vor allem und gleichermaßen in ökonomischer und kultureller Hinsicht. Eine umfassende Alternative bietet der Anarcho-Syndikalismus, der den Rahmen für die hier beschriebenen Schwarzen Scharen bildet.

Voraussetzung und Maßgaben bürgerlicher Hoheit im Antifaschismus
„Auch die Bilder aus den Konzentrationslagern, die das scheinbar unausweichliche Schicksal derer, die sich widersetzten, darstellen, können zur Vermittlung dieser Rolle beitragen. Diese Bilder des Schreckens erwecken nicht nur Mitleid. Sie sollen auch die Sinn- und Hoffnungslosigkeit jeglichen Widerstandes gegen einen unterdrückenden Obrigkeitsstaat beweisen. Wer seine Geschichte in dieser Form erfährt, wird selbst in seinem politischen Handeln gelähmt.“ (Rolf Theissen, Peter Walter und Johanna Wilhelms in: Anarcho-Syndikalistischer Widerstand an Rhein und Ruhr, Meppen 1980)
Wer ein Thema in der Öffentlichkeit, in Medien, Schulen oder Universitäten mit den für ihn günstigen Kategorien und Begriffen besetzt, bestimmt auch den anschließenden Diskurs! Und dazu braucht es strategische Überlegung als Basis der Rhetorik nebst Einfluß bzw. Geld.

Beides zeichnet den bürgerlich-kapitalistischen Lehr- und Medienbetrieb aus. Er will uns daran hindern, klare Gedanken zu fassen, und von einer gesunden Basis aus argumentierend, in den herrschenden öffentlichen Diskurs einzugreifen. Vergleicht man die klarsichtigen Analysen vieler antifaschistischer Organisationen, besonders der Anarcho-Syndikalisten vor der NS-Zeit mit der rudimentären Substanz heutiger
Antifaschisten, dann wird deutlich, dass die Diskussionen auf fast gänzlich anderen Ebenen unter für uns sehr ungünstigen begrifflichen/kategorischen Voraussetzungen geführt werden. Dies auszugleichen und geradezurücken, ist ein Ziel dieses Buches. Die ökonomischen Umstände, beispielsweise die vergleichsweise geringe Auflage des vorliegenden Buches, können dagegen erst mit nachhaltigen praktischen Maßnahmen egalisiert werden. Denn wer ist noch zur Revolution bereit, wenn das Bildungsfundament im Sinne der Obrigkeit etwas anderes suggeriert?

Antifa fängt deshalb damit an, sich nicht verkackeiern zu lassen. Bürgerliche Ideale und Wertmaßstäbe sind nicht unsere Maximen. Im Gegenteil sind sie die Voraussetzungen, dass Faschismus überhaupt erst entstehen und in breite gesellschaftliche Kreise vordringen kann. Von 1933 lernen, heißt, die eigene Verantwortung nicht auf Parteien oder Institutionen abzuschieben, sondern selbstorganisiert in freien Zusammenschlüssen gegen Neonazis und ihren Nährboden vorzugehen, denn „Freiheit besteht nur dort, wo sie vom Geiste persönlicher Verantwortung getragen wird.“ (Rudolf Rocker)